04 Juli 2025 | Berlin | Pressemitteilung

Kritik am neuen Berliner Bildungsprogramm

Kritik am neuen Berliner Bildungsprogramm
 
Im Rahmen unserer AG „Mehrsprachigkeit und Kita“ im BEFaN-Netzwerk setzen wir uns intensiv mit den Themen Mehrsprachigkeit, Diversität und Antidiskriminierung im frühpädagogischen Bereich auseinander. Seit Kurzem sind wir zudem Teil des Bündnisses Vielfalt Verankern. In diesem Zusammenhang haben wir gemeinsam mit den Bündnispartner*innen eine Pressemitteilung verfasst, die wir gerne mit Ihnen teilen möchten:
 
Kritik am neuen Berliner Bildungsprogramm:
Bündnis Bildungszukunft Berlin fordert mehr Diversität, Partizipation, Anerkennung von Fachlichkeit und Kinderrechten
 
Die Überarbeitung des Berliner Bildungsprogramms (BBP) für Kitas und Kindertagespflege sorgt derzeit für breite und berechtigte Kritik. Fachkräfte, Wissenschaftler*innen, Gewerkschaften, Elterngremien und zivilgesellschaftliche Organisationen schlagen Alarm: Das neue BBP droht zentrale Werte und Prinzipien aufzugeben, für die das Berliner Modell bislang bundesweit als vorbildhaft galt – darunter die Anerkennung von Vielfalt, Partizipation, Diskriminierungskritik und die Rechte der Kinder.
 

„Es ist wissenschaftlich unstrittig: nur eine vorurteilsbewusste Pädagogik und Bildungsarbeit jenseits stereotyper Botschaften in Rosa und Hellblau führt zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Wie also wollen wir dem Grundgesetz in Zukunft gerecht werden, wenn geschlechter- und diversitätssensible Pädagogik nicht von Anfang an Bildungsauftrag ist?! Schließlich wurde die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern 1994 zum Staatsziel erklärt. 30 Jahre später genügt ein Blick in die Schlagzeilen, um zu erkennen, wie weit wir davon entfernt sind.”
Sascha Verlan & Almut Schnerring, Autor*innen und Expert*innen für vorurteilsbewusste Bildung

Das Bündnis kritisiert insbesondere die Abkehr von diversitätssensiblen, inklusiven und partizipativen Ansätzen. Anstelle eines starken pädagogischen Selbstverständnisses positioniert der Entwurf Fachkräfte als bloße Ausführende vorgegebener Standards – und nicht als verantwortungsvolle Mitgestalter*innen frühkindlicher Bildung. Dies widerspricht dem Anspruch an eine professionelle, ganzheitliche und beziehungsorientierte pädagogische Praxis.

„Ein Bildungsprogramm, das Vielfalt und Diskriminierung nicht konsequent mitdenkt, verfehlt seinen pädagogischen Auftrag. Eine vorurteilsbewusste Kitapraxis ist entscheidend für erste Erfahrungen mit Bildung und Teilhabe. Diskriminierungsschutz muss daher, als tragendes Prinzip verankert sein, damit alle Kinder unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder Behinderung gerechte Chancen haben.“
Dr. Seyran Bostancı, Vorstandsvorsitzende vom Institut Kinderwelten e.V.

Subjekt- und beziehungsorientiertes Arbeiten ist nicht nur pädagogisch geboten, sondern auch arbeitskulturell zentral. Diversitätssensible Perspektiven und professionelle Urteilskraft sind dabei unverzichtbar. Die Vernachlässigung dieser Perspektiven in Verbindung mit der Einführung standardisierter Instrumente birgt nicht nur Benachteiligungsrisiken für Kinder, sondern auch erhebliche Konsequenzen für die pädagogischen Fachkräfte: Sinnverlust, Unzufriedenheit, Burnout, ein wachsender Exodus aus dem Berufsfeld – oder gar der Verzicht auf eine Ausbildung in diesem Bereich – sind die Folge.

„Frühkindliche Bildung, die Vielfalt bewusst einbezieht, schafft keine Grenzen, sondern Brücken – zwischen Kulturen, Sprachen, Familienmodellen und individuellen Bedürfnissen.“
María Rojas Brahm, Kitaleitung (Rosarote Tiger und gelbgrüne Panther)

Besonders gravierend ist die inhaltliche Unausgewogenheit im Bereich von Inklusion, Diskriminierungskritik und geschlechtlicher sowie sexueller Vielfalt. So finden Themen wie Rassismus, Adultismus, soziale Herkunft und die Lebensrealitäten inter*, trans* und nicht- binärer Kinder kaum oder keine Berücksichtigung. Auch die Vielfalt von Familienformen und sexualpädagogische Aspekte fehlen weitgehend. Der bisher zentrale Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung wird nur am Rande erwähnt. All dies steht in klarem Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität in Berlin und zu den Rechten aller Kinder auf Schutz, Sichtbarkeit und Förderung.

„Was wir brauchen, ist ein Bildungsprogramm, das alle relevanten Perspektiven beinhaltet: die der Pädagoginnen und Pädagogen und weiterer Akteur*innen aus der Fachpraxis, den Gewerkschaften, den Eltern und der Wissenschaft. Vor allem benötigt es auch in der Zukunft echte Fachlichkeit und die dafür nötigen Rahmenbedingungen.“
Andrea Kühnemann, Landesbezirksleiterin von ver.di Berlin-Brandenburg

Hinzu kommt, dass der Entwurf ohne eine systematische Beteiligung relevanter gesellschaftlicher Akteur*innen entstanden ist. Instrumente zur Beobachtung, Dokumentation und Einschätzung zielen auf Standardisierung und Vergleichbarkeit – nicht auf individuelle Förderung. Sie drohen insbesondere Kinder mit mehrsprachigem Hintergrund durch defizitorientierte Raster zu benachteiligen. Zudem besteht bei digitalisierten Verfahren unter Zeitdruck die Gefahr, dass Dokumentation wichtiger wird als das Kind selbst. Pädagogische Beziehungen und individuelle Entwicklungsprozesse werden so durch Messbarkeitslogiken ersetzt – eine problematische Verschiebung.

„Die geplante Fassung des Berliner Bildungsplans wäre ganz klar ein bildungspolitischer Rückschritt. Deshalb appellieren wir als Kinderrechtsorganisation an den Berliner Senat, die fundierte Kritik ernst zu nehmen und die Qualität frühkindlicher Bildung in Berlin nicht zu gefährden. Der Stellenwert von Diversität, Inklusion und Diskriminierungsschutz im Kontext frühkindlicher Bildung darf nicht abgeschwächt werden. Es braucht eine fachliche Überarbeitung des Entwurfes auf Grundlage kinderrechtlicher und demokratiepädagogischer Prinzipien“
Kai Hanke, Geschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes

Ein weiteres zentrales Defizit betrifft den Umgang mit Mehrsprachigkeit und Bilingualität. Während die Grundsätze der QVTAG (Qualitätsvereinbarung Tageseinrichtungen) ausdrücklich die Förderung von Mehrsprachigkeit und die Entwicklung bilingualer Konzepte betonen, bleibt das BBP inhaltlich deutlich dahinter zurück. Diese Lücken führen in der Praxis zu großer Verunsicherung bei Trägern und Fachkräften, da es an klaren Orientierungen für einen systematischen und ressourcenorientierten Umgang mit sprachlicher Vielfalt fehlt. Deshalb fordern wir als Bündnis eine grundlegende Überarbeitung des Bildungsprogramms: transparent, demokratisch, diskriminierungskritisch und fachlich fundiert. Es braucht ein BBP, das die Rechte und Lebensrealitäten aller Kinder in Berlin aktiv schützt und fördert – und pädagogische Fachkräfte nicht schwächt, sondern in ihrer Professionalität stärkt. Nur so kann frühkindliche Bildung zukunftsfähig und gerecht gestaltet werden.

#VielfaltVerankern

  • Amaro Drom e.V.
  • ASP (Agentur für Soziale Perspektiven e.V.)
  • BEFaN-Netzwerk & Projektentwicklung Yekmal e.V. (Verein der Eltern aus Kurdistan in Deutschland e.V. / Yekîtiya Malbatên ji Kurdistanê li Almanyayê)
  • Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) e.V.
  • EqualCare-Akademie & Rosa-Hellblau-Falle
  • GEW BERLIN – Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • HSL Care Initiative an der ASH Berlin (Hochschullehrende der ASH in ver.di)
  • Institut Kinderwelten e.V.
  • KiDs Courage
  • klische*esc e.V. – Gemeinnütziger Verein zur Förderung von Wahlfreiheit jenseits limitierender Rollenklischees
  • LEAK – Landeselternausschuss KITA Berlin
  • LIFE – Bildung Umwelt Chancengleichheit
  • Migrationsrat Berlin – Träger der Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik (i-PÄD)
  • Netzwerk Gemeinsamer Diskriminierungsabbau in der frühkindlichen Bildung (GeDAB)
  • Regenbogenfamilienzentrum Lichtenberg (LesLeFam) –
  • Schwulenberatung Berlin (Kitas rosarote Tiger und gelbgrüne Panther)
  • Sources-d’Espoir e.V. –
  • Team Regenbogenfamilien des LSVD Verband Queere Vielfalt Berlin-Brandenburg e.V. –
  • Queerformat e. V.
  • Vereinte Dienstleistungsgesellschaft – Ver.di
  • Wildwasser e.V.

 

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